Referat UdK über art but fair und im besonderen „Wertschätzung von Kunst, was bedeutet das für Sie?“
11. Juni 2014, von Julia Schiwowa
These „Man kann etwas keinen Wert beimessen, wenn man es nicht kennt.“
Wertschätzung ist ein aktiver Begriff, der zwei Schritte voraussetzt. Ich werde aktiv und schätze den Wert einer Sache ein und dann oder darum schätze ich sie. Wertschätzung – ein treffender Begriff. Er beinhaltet, dass Wert nicht absolut ist sondern nur geschätzt werden kann und aufgrund dieser Einschätzung eben geschätzt wird. Aufgrund meiner Wertschätzung einer Sache aber handle ich. Wertschätzend. Und der Wertbegriff hat zwei Aspekte: einen Aspekt von Respekt und einen monetären. Immer und immer wieder.
In diesen Kreislauf von Wert-(ein)schätzung möchten wir uns bei art but fair begeben. Es ist ein Dialog und zwar in erster Linie ein Dialog mit sich selber. Welchen Wert gebe ich einer Sache? Und dann in einem zweiten Schritt weite ich den Blick und sehe über den Tellerrand meines kleinen Blickwinkels hinaus. Dann ist es eine Verantwortung, wem oder was ich Wert beimesse.
In unserem Falle geht es darum, Kunst zu schätzen, Kunst einen Wert beizumessen. Und das ist auch eine Entscheidung. Wie es eine Entscheidung ist, dass wir eine gute Infrastruktur brauchen. Es ist eine Verantwortung der einzelnen Menschen und der Gesellschaft, Kunst einen Wert zu geben. Und vielleicht braucht es da eine Hilfestellung von unserer Seite.
Denn einen Wert kann man erst einschätzen, wenn man sich in eine aktive Rolle begibt und eben – schätzt. Wenn man sich damit befasst, welchen Wert etwas hat. Und dem geht immer eine Berührung mit der Sache voraus. Man kann etwas keinen Wert beimessen, wenn man es nicht kennt. Vielleicht können wir Kunstschaffende vielen Menschen diese Hilfe geben, weil wir der Kunst einen Wert beimessen, weil wir diejenigen sind, welche die Notwendigkeit von Kunst sehen, spüren und leben.
Von dieser These ausgehend möchte ich nun verschiedene Schritte der Wert-Schätzung von Kunst aufzeigen.
- Kunst kennen(lernen), erleben, seine Wirkung erleben, schätzen lernen.
- Künstlerisches Produkt somit als Wert für sich selbst definieren.
- Kunst als unverzichtbaren Wert einer Gesellschaft sehen.
- Künstlerischer Arbeit als Arbeit sehen.
- Wert-schätzend-und-fair entlohnen, was man wert-schätzt.
1. Man muss etwas kennen, um es einschätzen und auch (wert)schätzen zu können. Wer nie in Berührung mit Kunst kommt, wird der Kunst folglich auch keinen grossen Wert beimessen und im Zweifelsfall sich nicht verantwortlich fühlen, Kunst als wichtigen Teil unserer Gesellschaft zu erhalten, weiterleben zu lassen, zu fördern. Am Anfang steht das Erlebnis.
2. Sobald man die Wirkung von Kunst erlebt hat und einen Wert für das Erleben von Kunst kennt, kann man auch dem künstlerischen Produkt als Werte-Speicher einen Wert beimessen. Weil man erfahren hat, dass dieses Produkt wertvolles zu bieten hat. Auch hier beginnt man bei sich selber.
3. Durch die Reflektion über die Wirkung von Kunst und ihren daraus resultierenden Wert für einen selbst, wird die Grundlage geschaffen, den Wert von Kunst auch für die Gesellschaft zu erkennen und sich dafür verantwortlich zu fühlen. Eine Gesellschaft, die den Wert von Kunst als wichtigen Bestandteil erkannt hat, wird diesen Wert an künftige Generationen weitergeben wollen.
Hier gilt es unten anzufangen, bei den Kindern, in den Musikschulen, mit Angeboten für junge Menschen, in Kursen. Denn wer mit Kunst aufwächst wird das Bedürfnis haben, Kunst als Teil seines Lebens zu erhalten.
4. Künstlerische Arbeit als Arbeit wahrnehmen
Man könnte meinen, dass jeder, der Kunst schätzt, auch erkannt hat, dass künstlerische Arbeit auch Arbeit ist. Leider sind wir meilenweit davon entfernt. Lassen Sie mich diesen Punkt etwas genauer unter die Lupe nehmen, denn es ist Teil der Vision von art but fair, dass künstlerische Arbeit endlich als Arbeit wahrgenommen wird. Genau das braucht es nämlich, damit künstlerische Arbeit geschätzt werden kann, wert-geschätzt.
Warum ist es noch nicht klar, dass künstlerische Arbeit auch Arbeit ist?
Zwei Aspekte möchte ich hervorheben:
Viele Menschen wissen nicht, was künstlerische Arbeit beinhaltet. Künstlerische Arbeit weniger als andere Arbeit vergleichbar und somit auch quantifizierbar ist. Weil es vielen Menschen nicht klar ist, was Künstler „den ganzen Tag so machen“. Es liegt auch daran, dass gerade bei den Darstellenden Künsten und der Musik das Produkt aussieht, als ob es ganz einfach von der Hand ginge, ganz leicht sei, darin liegt ja die Kunst. Es nicht als Arbeit aussehen zu lassen.
Daran können wir etwas ändern, indem wir die Menschen aufklären, gedankliche Brücken bieten, erklären, was wir machen. Vielleicht sogar mal die Stunden zusammenrechnen, die es braucht, um Kunst zu entwickeln. Womit wir für einmal eine Zahl hätten.
Und es hat zum anderen damit zu tun, dass wir immer noch sehr verhaftet sind in einem historisch gewachsenen, romantisierten Künstlerbegriff. Dem des armen Künstlers. Das romantische Bild des armen Künstlers hält sich gut in unserer Gesellschaft. Die Idee des Künstlers, der für seine Kunst und für nichts anderes lebt. Der im Umkehrschluss auch nichts anderes zum leben braucht. Vermeintlich. Der Künstler, für den Geld kein Wert ist.
Sonst wäre er doch kein guter Künstler, nicht wahr?
„Du tust doch, was dir Spass macht“. Als ob eine anständige Entlohnung von Künstlern dem Wert ihrer Kunst entgegen stünde. Und, als ob man dafür bestraft werden müsste, seine Arbeit zu lieben.
Ein Beispiel möchte ich dafür geben, ein weit verbreitetes und die gegenwärtige Situation besonders treffend beschreibende, nämlich das der „gute Möglichkeit“:
Diese gute Möglichkeit. Wir bieten eine Plattform. Bei uns erhält ihr die Möglichkeit, euch vor Publikum zu profilieren. Sie begleitet uns auf Schritt und Tritt, die „gute Möglichkeit“. Das schlimme an der guten Möglichkeit ist, dass wir uns längst an sie gewöhnt haben. Wir merken gar nicht mehr, welcher Abgrund sich dahinter verbirgt. Es ist die salonfähig gewordene Entschuldigung, Künstler zu schlechten Bedingungen zu engagieren und sich damit auch noch als Wohltäter hinzustellen, eben, eine Möglichkeit zu bieten. Und Wohltäter zu sein, das klingt chic, es klingt nach gutem Menschen. Und das wollen wir doch alle sein.
Das zweitschlimmste dabei ist, dass die besagten Leute es oft selber gar nicht merken. So weit ist der Wertschätzungs-Zerfall vorangeschritten. Das allerschlimmste aber ist, dass es die Künstler selber nicht mehr merken. Sie glauben daran. Und machen mit.
Dass man dankbar sein soll für die gute Möglichkeit, das lernt man bereits an vielen Hochschulen und das bestätigt dann auch die Realität. „Du darfst mitmachen“. Man könnte auch etwas anderes lernen an den Hochschulen. Zum Beispiel „was ist der Wert von Kunst? Wie vermittle ich den Wert künstlerischer Arbeit? Wie entwickle ich eine Haltung zu meinem Beruf, die die Wert-Schätzung von Kunst fördert?“.
Mittlerweile hat sich die gute Möglichkeit verselbständigt. Sie ist sogar System geworden. Anerkannte Theaterhäuser benutzen sie systematisch, um Kunst billig zu produzieren. Wie selbstverständlich diese systematisierte „Umwertung von unbezahlter Arbeit“ angewandt wird, um Kunst zu produzieren. Dumping-Kunst. Ausser, dass sie nicht als solche kommunziert wird. Wir von art but fair wollen keine Dumping-Kunst. Wir wollen wert-geschätzte Kunst. Und wert-geschätzte künstlerische Arbeit, die sich hinter dem oft fulminanten Produkt mit grossem Glanz verbirgt.
Es ist ein Skandal, dass man nun bei den Künstler-Honoraren plötzlich mit den Werte-Begriffen argumentiert. „Ihr habt das ja so gewählt, ihr habt andere Werte“. Im Zeitalter des Kapitalismus. In dem auch die Künstler trotz allem leben. Im Zeitalter der allgemeinen Arbeits- Haupt-Wert-Schätzung mit Namen „Geld“. Arbeit wird mit Geld wert-geschätzt. Und obwohl das Argument viele Arbeitgeber wenig beeindruckt: Von Applaus bezahlt man keine Lebensmittel. Und wenn einem Chirurgen seine Arbeit Spass macht, kriegt er dafür auch nicht weniger Lohn.
5. Wert-schätzend-und-fair entlohnen, was man wert-schätzt.
Noch ist diese Idee eines Widerspruchs zwischen den zwei Seiten von Wertschätzung, dem monetären und dem nicht-monetären nicht bei mir angekommen. Denn das Ziel eines respektvollen Umgangs schließt angemessene Gagen mit ein. Es ist respektlos, Kunstschaffende schlecht zu bezahlen. Umgekehrt kann man sagen: Der respektvolle Umgang schließt eine faire Gage ein.
Jetzt müssen wir den Schritt wagen und von der Wert-Schätzung ins Handeln kommen. Und das ist der Moment, wo Kunst auch fair entlohnt werden muss.Das ist immer der Moment, wenn das Wort „Markt“ auf den Tisch kommt. Dann hören wir plötzlich Angebot oder Nachfrage, Überangebot, Preiszerfall. Und genau da kommt die Frage einer Haltung, um die es uns bei art but fair geht.
Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Angenommen ich hätte die Macht, meine Angestellten in meinem Theater für 1 Euro pro Stunde einzustellen. Würde ich es tun? Gibt es eine Grenze, einen Respekt, zu dem ich mich bekenne, eine Haltung, die ich mir für meinen Beruf auferlege? Eine moralische Grenze?
Gerade in der Kunst, in der von Werten die Rede ist, möchte ich, wenn ich hinter die Kulissen schaue, diese Werte auch sehen. Wenn die Werte, von denen Kunst handelt, systematisch untergraben werden, dann ist Kunst letzten Endes ein reines Scheingebilde, eine Hülle. Dann ist sie vor allem eines: unglaubwürdig.
Aufgrund der bestehenden grossen Probleme im Bereich der Darstellenden Künste und der Musik, der oftmals fehlenden Unternehmensethik in den Kulturbetrieben, den oftmals unterirdischen Gagen und leider auch fehlenden Verhaltens- oder Anstands-Codizes fordern wir von art but fair alle an den Darstellenden Künsten und der Musik beteiligten Akteure zu einer Haltung auf.
Wir alle sollen uns Gedanken darüber machen, ob wir uns in unserem Beruf fair verhalten und in unserem Wirkungsbereich Verantwortung übernehmen und dementsprechend handeln.
Der Vorschlag von art but fair: Eine Selbstverpflichtung
Unser Vorschlag und inhaltliches Kernstück von art but fair ist: Eine Selbstverpflichtung. Es hat mit dieser Haltung zu tun, die wir einfordern.
Die Formulierungen der art but fair-Selbstverpflichtung sind ein konkreter Beitrag, um auf ein faires und würdevolles Arbeiten in der Darstellenden Kunst und der Musik hinzuwirken. Die art but fair-Selbstverpflichtung ist Ausdruck der Eigenverantwortung von Personen. Durch die Veröffentlichung wird das Verhalten im Alltag für alle an den selbst aufgestellten Ansprüchen messbar. Unsere Texte wenden sich jeweils mit eigenen Formulierungen an die wesentlichen fünf Personengruppen:
– Kunstschaffende
– Theaterleitende und Produzierende
– Verantwortliche in Kulturpolitik und Verwaltung
– Verantwortliche an Schulen, Hochschulen und Akademien
– Agenturen, Management und Künstlervermittlungen
Die Einladung zur Selbstverpflichtung für Kunstschaffende richtet sich ausdrücklich auch an Theatermitarbeitende aus den Bereichen Technik und Verwaltung.
Mittelfristig werden wir die Selbstverpflichtung mit den art but fair consultations durch einen breiten Diskussionsprozess, Umfragen und Interviews gemeinsam mit allen Beteiligten weiterentwickeln. Außerdem erstellt die Kulturpolitische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Hans-Böckler Stiftung und art but fair eine weiterführende Studie zum Thema.
Aber schon jetzt kann sich jeder auf der Basis unseres aktuellen Vorschlags selbst verpflichten:
Die art but fair-Selbstverpflichtung soll in einem längerfristigen Prozess auf ein faires und würdevolles Arbeiten in der Darstellenden Kunst und der Musik hinwirken. Die art but fair-Selbstverpflichtungen sind konkreter Ausdruck der Eigenverantwortung von Personen. Durch die Veröffentlichung wird das Verhalten für alle an den selbst aufgestellten Zielen messbar. Die abzugebenden Berichte können Hilfestellung und Anreiz für andere sein.
Um abzuschliessen, weite ich meinen Blick auf eine bewegliche, nachhaltige, wandelbare Gesellschaft. Eine vielfältige Gesellschaft. Ich schaue auf den Wert, den ich der Kunst für die Gesellschaft beimesse. Ich sehe nicht nur die Bilanzen. Nicht nur die Rechnung für heute. Ich denke an den Zusammenhalt, die Gesellschaftsreflektion, die Visionsbildung für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, die Identitätsbildung, die Auseinandersetzung mit Werten. Voilà.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!