Offener Brief an das ZDF und Markus Lanz

lanzSehr geehrter Herr Dr. Bellut,
sehr geehrter Herr Lanz,
sehr geehrte Damen und Herren des ZDF und der Redaktion von Markus Lanz,

in der Sendung vom 16.01.2014 hatten Sie in dem Format Markus Lanz Moritz Bleibtreu und Christian Kahrmann zu Gast, um neben anderen auch das Thema eines zunehmenden Prekariats innerhalb des deutschen Schauspielberufes zu thematisieren. Das Ansinnen des ZDF, dieses wichtige gesellschaftliche Thema einer breiten TV-Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist sicherlich zu begrüßen. Unter anderem hatten Sie dankenswerter Weise unsere Arbeit von art but fair bereits in Ihrem Format aspekte (Stefan Braunshausen) im Zusammenhang mit den Salzburger Festspielen beleuchtet.
Tatsächlich hat jetzt aber Markus Lanz durch die Einlassungen von Herrn Bleibtreu, die gänzlich unwidersprochen blieben, vor allem den deutschen Theater-Schauspielern einen Bärendienst erwiesen! Das stieß nicht nur bei uns auf großes Unverständnis, sondern sorgte bei vielen Schauspielern zu Recht für Entrüstung. Die hat sich u.a. auch auf unserer Facebookseite Bahn gebrochen.

1. Behauptet wurde durch Herrn Bleibtreu, dass es an deutschen Theatern ein Anfängergehalt von 3.000 Euro gäbe. Er bemühte dabei das Beispiel von Castrop-Rauxel. Am Westfälischen Landestheater gilt dort – wie an allen anderen deutschen Bühnen, die dem Deutschen Bühnenverein angeschlossen sind – der tarifliche Normalvertrag Bühne.
Fakt ist vielmehr, dass der Mindestlohn bei 1.650 EUR brutto liegt. Inzwischen hat Herr Bleibtreu auf seiner Facebookseite zugegeben, dass er angeblich Euro mit der alten D-Mark verwechselt habe und sich entschuldigt. Aber selbst zu D-Mark-Zeiten lag freilich der Gehalt nicht bei 3.000 DM, sondern bei etwa der Hälfte.

2. Der noch viel fatalere Eindruck entstand aber durch seine Einlassung (ebenfalls unwidersprochen), dass es jungen Schauspielern ja lediglich um die schnelle Berühmtheit gehe und deswegen niemand mehr eine mehrjährige Ausbildung absolvieren und an den kleinen öffentlich-geförderten Bühnen (er sprach fälschlicher Weise von „subventioniert“) wie Recklinghausen etc. spielen wollte. Das ist ebenfalls beides schlicht falsch.
Fakt ist vielmehr, dass sich eben jene kleinen Bühnen zahlreich und seit Jahren in einem für alle Beteiligten kräfteraubenden Überlebenskampf befinden, weil sie seitens der öffentlichen Hand immer weniger Fördermittel zur Verfügung gestellt bekommen. Immer mehr Bühnen müssen darum einzelne Sparten streichen oder gänzlich schließen. Zudem absolvieren sehr wohl zahlreiche junge Menschen die vielen staatlichen und privaten Schauspielschulen, leider mehr als der Markt eigentlich benötigt. Das ist Teil der Misere, die zu unverschämten Dumping-Gagen führt.

Aus diesem Grunde wurde von uns am 18.01.2014 ein Offener Brief an Herrn Bleibtreu formuliert. Wie oben bereits erwähnt, hat er sich auf seiner privaten Facebookseite für seinen Faux Pas bereits entschuldigt – zumindest für seinen vermeintlichen Euro/D-Mark-Verwechsler.

Selbstverständlich hat die angesprochene ZDF-Sendung aber eine weit größere öffentliche Reichweite. Wir möchten Sie deswegen darum bitten, in einer Ihrer kommenden Sendungen von Markus Lanz die fälschlichen Behauptungen richtig zu stellen, einem unserer Repräsentanten die Möglichkeit zu geben, sie entsprechend zu kommentieren, oder das Thema noch einmal in einem anderen Format angemessen und seriös darzustellen.

art but fair kämpft seit beinahe einem Jahr unermüdlich für gerechtere Arbeitsbedingungen und angemessene Gagen in der Darstellenden Kunst und der Musik, dies immer mehr auch Hand in Hand mit den entsprechenden Gewerkschaften. Dank der Dringlichkeit des Themas und dank Elisabeth Kulman, unserer prominenten Botschafterin aus der Oberliga der Opernwelt, erfahren wir eine immense internationale Medienaufmerksamkeit. Sie werden verstehen, dass ZDF-Sendungen wie die angesprochene bei unserem wirklich kräftezehrenden Kampf mehr als kontraproduktiv wirken und vor allem die betroffenen Künstlerinnen und Künstler, die sich ganz überwiegend in einem ständigen Überlebenskampf befinden, vor den Kopf stoßen!

In der großen Hoffnung auf Ihr Verständnis und Ihr Entgegenkommen, die falschen Behauptungen öffentlich korrigieren zu wollen, grüßen wir Sie freundlich und freuen uns auf eine Antwort,

Für art but fair Deutschland
Hagen, den 19.01.2014

Johannes Maria Schatz
– Erster Vorsitzender –

 

[Video-Tipp: Markus Lanz-Sendung vom 16.01.2014 – Ab ca. 45:27 berichtet Christian Kahrmann über den steinigen Weg in der Schauspielerei, und Moritz Bleibtreu kommt ab 58:37 ins schwadronieren.]

9 Thoughts on “Offener Brief an das ZDF und Markus Lanz

  1. Obwohl ich in weiten und überwiegensten Teilen Eurem Anliegen beipflichte… dieser Satz ist schlicht falsch:
    „Aber selbst zu D-Mark-Zeiten lag freilich der Gehalt nicht bei 3.000 DM, sondern bei etwa der Hälfte.“
    Mein erstes Anfängergehalt lag 1995 genau bei 3000 DM… selbstverständlich brutto!!! (Aber bei den 1650 Euro Mindestgage heute sprecht Ihr ja auch von brutto.)
    Die Anfangsgehälter meiner Abschlußklasse lagen ebenfalls alle rund um diesen Wert… und keinesfalls bei der Hälfte. Das gebietet aber auch schon die Logik… rechnet mal nach, was von 1500 DM brutto übrig geblieben wäre… die „alte Zeit“ war günstiger, aber so günstig nun auch wieder nicht.
    Eure Argumente sind zu gut, sie mit diesem Fehler zu belasten.
    Ansonsten… es ist nie besonders hilfreich, wenn ein Branchenprimus versucht eine Krise zu beurteilen… in der Tat ein ungünstiger Bärendienst, der an den realen Gegebenheiten der Theaterwelt vorbei geht.

  2. friedhelm bayertz on 21. Januar 2014 at 09:37 said:

    ich habe die Sendung auch gesehen, um`s den FS-Gewaltigen deutlich zu machen , als 72jähriger Pensionär habe ich mit der Bühne nur als Zuschauer zu tun, zum Artikel – gefäält mir sehr, wie ein Herr Bleibtreu auf solche Zahlen kommt ist nicht erklärbar, und zu Herrn Lanz – ein weiterer Nachweis für seine große Eignung an der Stelle, mal sehen ob er den Mut zur Berichtigung aufbringt

  3. Ich finde es erstaunlich, dass es selbst dem öffentlich rechtlichen Fernsehen mit seriösem Anstrich nicht gelingen will zu bemerken wo die meisten Schauspieler arbeiten… eben nicht beim Fernsehen, sondern auf Theaterbühnen. Will man sich also nicht bloß Schauspieler ins Haus und auf die Talksessel holen, sondern solche, die mit ihrer Berufserfahrung für die Mehrheit sprechen können, dann muss man Theaterbeschäftigte holen… und den Bekanntheitsbonus opfern zugunsten eines tatsächlichen Blicks hinter die Kulissen. Was wäre das für eine gelungene Talkrunde: ein/e Intendant/in eines der zahlreichen von Schließung und Spartenverlust betroffenen Theater, die Leitungsebene einer Schauspielschule, ein/e Berufsanfäner/in, ein/e ältere/r Schauspieler/in, einen Gast aus dem Staatsministerium für Kultur und Medien, art but fair sollte in der Tat vertreten sein, der deutsche Bühnenverein könnte ebenfalls dazu gebeten werden… es gibt so viele Möglichkeiten eine wirklich beherzte Diskussion zu kreieren und sich der Sachlage basisnah zuzuwenden – WENN man das will.
    Und das ist eben die Frage… ob das ZDF das wollte und will.

  4. Kurt Laubenheimer on 22. Januar 2014 at 11:27 said:

    Die Sache mit der Anfängergage ist ganz einfach: Der zurzeit geltende Tarifvertrag ist der NV Bühne und dieser gilt seit Herbst 2002. Zuvor, und damit auch zu den Zeiten der DM, galt der NV Solo – und dieser enthielt gar keine Mindestgagen.

    Allerdings hat man auch zu DM-Zeiten keine Anfängergagen von DM 3000.- gezahlt, diese lagen wesentlich niedriger. Ich selbst hatte DM 1800.- und das war sehr gut für die damaligen Verhältnisse.

  5. Ich habe jetzt extra nochmal alle Unterlagen durchwühlt… ich wusste, ich hab‘ meinen ersten Ensemblevertrag noch… sowas schmeiß‘ ich nicht weg… Vertragsunterschrift war der 20.03.1995 und er legt 3000,-DM brutto als Monatslohn fest… und ich war nicht an der Burg engagiert und ich bin auch kein Verhandlungsgenie, ganz bestimmt sogar nicht… es war das Angebot des Theaters.
    Netto ergab das in etwa den Betrag, den Sie benennen… bei mir, Steuerklasse I, waren es 1750,-DM.

  6. TV-Ratzefummel on 23. Februar 2014 at 11:34 said:

    Sehr geehrter Herr Lanz,

    schade wie sehr man gerade Sie unter der Degeneration der deutschen Fernsehabend-Unterhaltung leiden läßt. Man will’s spießig und doch wieder nicht. Im Grunde leiten Sie eine Neuauflage Karsten Speck’s „Ein Kessel Buntes“. Diese verordnete Freude und Lockerheit wirkt auf’s aufgeklärte Gemüt wie Plaste und Elaste.

    Viele Grüße
    TV-Ratzefummel

  7. Ingrid Wallat on 10. Juni 2014 at 22:14 said:

    Herr Lanz
    Ihr Verhalten im Gespräch mit Herrn Lucke, AfD, war ein Beispiel dafür, wie Moderation in einem
    demokratischen Staat nicht sein kann. Ihre Eigenheit, Ihren Gesprächspartner nicht ausreden zu lassen,
    haben Sie heute perfektioniert. Die Begründung mit der knappen Sendezeit ist ja wohl lächerlich, dümmlich.
    Wenn sie sich schon auf das poitische Feld wagen, dann doch bitte mit einer demokratischen Grundhaltung, die auch bedeutet, dass Sie selbst mit Vertretern von demokratischen politischen Gruppierungen, die Ihnen nicht passen, sachlich und respektvoll umgehen.
    Das würde ich Ihnen übrigens auch raten, wenn Sie in dem Stil von heute mit Herrn Gisy umgehen würden. Aber das käme für Sie vermutlich nicht vor.
    Die Reaktion der Menschen im Publikums am heutigen Abend machte zusätzlich deutlich, wie sie
    durch den Moderator beeinflußt reagierten – ebenso unsachlich um lauthals.
    Mir geht es nicht darum, der AfD das Wort zu reden. Ich würde sie niemals wählen.
    Ich bin vielmehr erbost über eine so niveaulose Sendung “ meines ZDF“.

  8. Gerd Schönbuchner on 5. Dezember 2014 at 22:13 said:

    Sehr geehrter Herr Lanz,ich habe gestern Ihre Sendung zum thema Zivilcourage gesehen, die mir sehr gefallen hat. Sie haben aber leider vergessen, ein Ereignis aus dem Jahr 2013 zu erwähnen. Da wurde mitten am Tag in einer voll besetzten Hamburger Straßenbahn ein mädvhen vergewaltigt und keiner der anderen Passagiere schritt ein. Das war eine bedauernswertes Beispiek für mangelnde Zivilcourage. Diese Schweine schauten alle ber der Vergewaltigung lustvoll zu und unternahmen nichts. Sie hätte dieses katastrophale Beispiel unbedingt in Ihre gestrige Sendung einbinden müssen. Schade, dass Sie es nicht getan haben !
    MfG
    Gerd Schönbuchner

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